„Die Herausforderungen heute sind so gewaltig, dass es nur gemeinsam gelingt, die Zukunft zu gestalten“

Diözesancaritasdirektor Pfr. Oliver Merkelbach

Symposium zum 50-jährigen Jubiläum

Nicht bestmögliche Versorgungsqualität, sondern bestmögliche Lebensqualität

Symposien waren für die Stiftung Haus Lindenhof immer wieder „Meilensteine“, um inne zu halten und die eigene Arbeit zu reflektieren. Anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums und um Themen vergangener Symposien Revue passieren zu lassen, lud die Stiftung am 6. Oktober 2021 zu ihrem siebten Symposium unter dem Motto „Menschlichkeit-Kompetenz-Zukunft“ einige Wegbegleiter ein. Darunter den ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Ehrenvorsitzenden der Lebenshilfe, Robert Antretter, den ehemaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester und den Sozialwissenschaftler Dr. Peter Messmer, ehemaliger Sozialplaner im Sozialministerium Baden-Württemberg sowie Prof. Dr. Urs Jäger von der INCAE Business School Costa Rica.

„Ein echter Motor der sozialen Infrastruktur in der Region“

Wirklich prägend sei in den 50 Jahren der Stiftungsgeschichte die tiefe Überzeugung der Mitarbeitenden gewesen, ihre Arbeit als etwas Sinnstiftendes zu verstehen. Drei Dinge seien immer in der Stiftung wichtig gewesen Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und eine Werthaltung, die „Loyalität der Mitarbeitenden, die sich gegenüber unserem Sendungsauftrag verpflichtet fühlen“, sagte Vorstand Prof. Dr. Wolfgang Wasel in seiner Begrüßung. Die Zahl der Betreuten und Mitarbeitenden habe sich in den 50 Jahren verzehnfacht, stellte der Stiftungsratsvorsitzende Thomas Halder in seinem Grußwort fest. Außerdem, so Halder, habe sich die Stiftung immer wieder neu orientiert, rechtzeitig den Weg der Dezentralisierung eingeschlagen und sich laufend an veränderte Rahmenbedingungen angepasst. Für die Mitarbeitervertretungen wünschte sich Steffen Christ die Zukunft partnerschaftlich in einem fairen Miteinander zu gestalten. Als einen „echten Motor der sozialen Infrastruktur in der Region“ bezeichnete die Sozialdezernentin des Ostalbkreises, Julia Urtel, die Stiftung. Für die Stadt Schwäbisch Gmünd sei die Stiftung ein enger Partner auf Augenhöhe, vor allen was das Thema Inklusion beträfe, sagte Erster Bürgermeister Christian Baron. Für Diözesan-Caritasdirektor Pfr. Oliver Merkelbach ist die Stiftung als „einer der großen Akteure in vielfältiger Weise in die Strukturen des Caritasverbandes eingebunden. „Die Herausforderungen heute sind so gewaltig, dass es nur gemeinsam gelingt, die Zukunft zu gestalten“, so Merkelbach.

Nach den Grußworten der Vertreter aus Politik, Gesellschaft und der Lindenhof-Familie folgten die vier Fachvorträge. Robert Antretter blickte in seinem Beitrag auf vier Jahrzehnte Verbundenheit zurück, davon 18 Jahre als Bundestagsabgeordneter und 20 Jahre als Vorsitzender der Veronika-Stiftung: „Ich habe dabei gelernt, wie wichtig es ist, wenn man gut vernetzt ist“. Er dankte der Stiftung für den fruchtbaren Erfahrungsaustausch in all diesen Jahren. „Ich konnte dabei viel für meine politische Arbeit gewinnen“, so Antretter. Besonders hob er dabei das gemeinsame Engagement gegen die Bioethik-Konvention des Europarates hervor, die ja auch bis heute von der Bundesregierung nicht unterzeichnet worden sei. Sie hätte u.a. Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen zugelassen. Schon sehr früh, lange vor der Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention, habe sich die Stiftung mit Augenmaß, auf den Weg in Richtig Inklusion gemacht. „Ihr Beispiel kann Orientierung geben“, sagte er.

„Ganz zentral ist immer die Würde des Menschen“

Im Anschluss daran reflektierte der ehemalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Walter Riester die sich verändernden Zeiten am Beispiel seiner ganz persönlichen Erfahrungen.  Als gelernter Fliesenleger und engagierter Gewerkschafter sei er stark leistungsorientiert geprägt gewesen. Als er als Bundesminister die Reformen im Bereich der Sozialgesetze einleitete, habe er bei unterschiedlichen Anlässen die Offenheit und Herzlichkeit von Menschen mit Behinderung erfahren und kennengelernt. „Wieviel an Menschlichkeit da ist“, hob Riester besonders hervor. Als es 2002 darum ging, das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen zu formulieren, habe er das einem Kreis von Menschen mit Behinderung überlassen. Damit ihre gut formulierten Ziele nicht in der Praxis scheitern, habe er Zielvereinbarungen zu ihrer Durchsetzung geschlossen. „Dabei habe ich gelernt, welch hohe Bereitschaft Menschen mit Behinderungen haben, sich einzubringen“, erläuterte der Politiker. Ganz zentral sei dabei für Walter Riester immer die Würde des Menschen: „Sie ist deutlich mehr als Leistung, Qualität und Quantität“.

„Die digitale Weltsicht kann auch nicht digitalen Unternehmen Orientierung geben“

Wie können wir das Motto der Stiftung „selbst. bestimmt. leben.“ global fördern und wie kann die Stiftung Haus Lindenhof trotz begrenzter Ressourcen mehr Menschen unterstützen? Diese Fragen stellte, zugeschaltet aus Costa Rica, Prof. Dr. Urs Jäger in seinem Referat. 15 Prozent der Weltbevölkerung haben eine Behinderung, deshalb „brauchen wir Lösungen für Deutschland aber auch global“, so Jäger. Sein Rezept ist es, Beziehungen zu nutzen. „Alles ist mit allem verbunden“, diese digital vernetzte Weltsicht könne auch nicht digitalen Unternehmen, wie der Stiftung Haus Lindenhof Orientierung geben. Denn, so Jäger: „Die Stiftung ist Experte im digitalen Weltbild“. „Unlock Change“ ist sein Stichwort: Die Fähigkeit in Netzwerken zu denken und zu handeln und damit verbunden auch die Fähigkeit, soziales Kapital in wirksame Aktionen zu überführen. „So wie ein Laser durch die Konzentration von Energie Leistung erzielt, bündeln erfolgreiche Unternehmen Beziehungen, um größtmögliche Wirkung zu erzielen“, merkte Urs Jäger an.

„Einrichtungen mit Quartiersbezug und Heime als Wohnräume“

Den abschließenden Vortrag brachte Dr. Peter Messmer, Soziologe und ehemaliger Referent im Sozialministerium Baden-Württemberg an: „Obwohl größere Einrichtungen vielleicht manches besser können, waren mir immer kleine, wohnortnahe Einrichtungen wichtig“. An die Feststellung, Individualität stehe in Verbindung mit Autonomie und Selbstbestimmung knüpfte er die Frage: Inwieweit können Menschen ihre Individualität in Einrichtungen leben? Institutionen seien von Gleichförmigkeit und Konformität geprägt, das schränke Individualität ein. Je größer eine Einrichtung, desto höher sei auch die Regelungsdichte. Desgleichen gehe es laut Messmer nicht um bestmögliche Versorgungsqualität, sondern um bestmögliche Lebensqualität. „Pflegeheime bieten eine kollektive Betreuung zu moderaten Preisen und werden auch weiterhin ein Bestandteil der Versorgung sein“, so der Referent. Daher forderte Messmer Einrichtungen mit Quartiersbezug und die Weiterentwicklung von Heimen als Wohnräume. „Ein Mehrbettzimmer ist nicht wirklich ein Wohnraum“, stellte Messmer fest. Selbstständigkeit und Selbstbestimmung versus Schutz und Sicherheit, sei ein dauernder Zielkonflikt in stationären Einrichtungen.